Volvo 66 DL

Mülltütenblau

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Gespannt stand ich vor der Garage. Gleich wird Matthias das Tor öffnen und ich werde ihn endlich zu sehen bekommen : Den mülltütenblauen Volvo 66 DL Kombi, welchen er mir just vor der Nase weggeschnappt hatte. Nicht weiter dramatisch für mich, freue ich mich doch immer sehr wenn Autos in gute Hände gelangen, was bei Matthias definitiv der Fall ist. Doch gleich wird sich zeigen ob es Grund zum grämen gäbe. Das Tor schwingt auf und zum Vorschein kommt : Eine Badewanne. Nein, Matthias ist nicht unter die Ford Sammler gegangen ... obwohl, irgendwie schon. So mein flüchtiger "Hof-Scan" mich nicht getäuscht hat wurden minimum zwei Fiesta CVT registriert. Hier steht aber konkret wohl eine Bad-Sanierung an. Schüchtern lukt hinter der Wanne der Volvo hervor. Gestrandet und verbarrikadiert, denke ich. Wären die Reifen nicht so platt, ließe er sich sicher leicht schieben. Riemen hat er ja keine mehr. Die haben sich ja wohl noch im Großraum Göttingen verteilt. Ein paar Meter ans Licht gehts mit vereinten Kräften auch mit schlappen Pneus. Da nun ein wenig rangiert werden muss würden dralle Schlappen die Angelegenheit erheblich vereinfachen. So geht Matthias auf die Suche nach einem geeigneten Pumpwerkzeug und kommt sogleich mit einer Fuß-Luftpumpe herbeigeeilt. Mein Mitreisender wird umgehend zum fußluftpumpen überredet während Matthias mir vom Glück über diese Pumpe erzählt. Die letzte sei ihm beim pumpen auseinander geflogen, sagt er, während es auf der anderen Seite des Autos scheppert. Auf dem Boden liegen diverse Fußluftpumpenteile. Was, wie wir jedoch schnell lernen, kein Problem darstellt, da es sich hierbei um "eine gute" Pumpe handelt welche Matthias mit ein paar geschickten Handgriffen schnell wieder zusammen steckt. So schlecht sieht der kleine Kombi garnicht aus. Auf den Bildern, von denen ich ihn bisher nur kannte, sah er irgendwie vernachlässigter aus. Der Vorbesitzer hatte aber an der Optik noch ein wenig gefeilt. Insbesondere die überdimensionalen Pril-Blumen auf der Motorhaube stechen ins Auge.

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Gefällt mir. Charmante Art Rost und Beulen zu kaschieren. Muss ich mir merken. Ansonsten fällt auf, das schon viel ausgebessert wurde. Der Lack ist an vielen Stellen nicht mehr Original und zum Teil mit dem Pinsel verteilt worden. Immerhin hat sich jemand Gedanken um den Erhalt des Wagens gemacht und der optische Eindruck ist trotz allem immer noch relativ ordentlich. Der Fahrgastraum schaut ebenfalls gut aus. Die Polstermöbel sind in respektablem Erhaltungszustand. Unter dessen haben wir den Volvo auf eine befestigte Bodenfläche im Hof geschoben. Wäre doch gelacht wenn wir den Wagen nicht wieder flott bekämen. Beim hochpumpen des Hecks läßt sich das Malheur schon erahnen. Riemenfetzen hängen überall unterm Auto herum. Die entfernte Variomatic-Abdeckung gibt den Blick auf ein Riemen-Schlachtfeld frei.

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Ein Antriebsriemen hat sich vollends in seine Bestandteile zerlegt, der andere ist fragmental noch vorhanden und klemmt zwischen den Kegelscheiben. Auf allen vier Scheibenpaaren haben sich die inneren Gewebefäden der Riemen kreuz und quer um die Wellen gespult und zwischen die Scheiben gezogen. Was sofort auffällt : Die aufgezogenen Riemen sind wesentlich schmaler als die üblichen 66er Teile. Zunächst vermute ich das es jemand fertig gebracht hatte 44/55er Riemen aufzuziehen. Ein späterer Vergleich wird jedoch ergeben das es sich gar um A-Body Riemen handelte, welche auf ein paar Kilometern Autobahn ziemlich spektakulär zerfetzt wurden.

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Nachdem ich sämtliche Fäden und Gummi-Zähne aus allen möglichen Ecken gepult hatte fiel mir auf, dass die Primärvariomatic beschädigt ist. Die Verstellung des rechten Topfes funktioniert nicht mehr. Wenn überhaupt, so würde dieser Wagen ohne Variomatic-Transplantation nur mit einem Riemen zu fahren sein. Das würde fürs erste aber allemal genügten. Immerhin wäre er dann wieder halbwegs fahrbereit und Matthias könnte ihn wenigstens wieder bewegen. Einen Satz nicht überalterter und wenig gebrauchter Antriebselemente hab ich ebenso im Gepäck wie das passende Werkzeug. Der Riemen ist schnell aufgezogen und der Probelauf konnte beginnen, dachte ich. Es regt sich aber nichts unter der Motorhaube. Und das liegt nicht daran das ich keinen Zündschlüssel zum starten habe. Den brauchts nämlich nicht mehr. Das offenbar defekte Schloss wurde wohl mal gegen ein Konstrukt aus Wippschalter und Taster zum starten getauscht. Das ist gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber. Würde funktionieren. Wenn wir Strom in der Batterie hätten. Ein Starthilfekabel hab ich leider nicht dabei. Glücklicherweise kann Matthias aber eines hervorzaubern so das einem neuerlichen Anlassversuch nichts mehr im Wege steht. Willig legt sich der Starter ins Zeug und haucht dem Motor Leben ein. Immer wieder ein schönes Gefühl. Nach geräuschvollem einlegen der Fahrstufe drehen sich beide Antriebsräder behände. Mission erfüllt. Zur Belohnung gönnen wir uns eine Probefahrt nachdem der Wagen abgebockt ist. Da sich die Batterie nicht erholt wird vorher noch eine brauchbare eingebaut. Bei der Gelegenheit noch fix das Kühlwasser gecheckt. Gecheckt werden kann jedoch nur die Atmosphäre im ansonsten gähnend leeren Kühler. Wasser marsch. Es bleibt sogar da wo es hingehört. Allmählich legt sich die Dämmerung nach einem kalten klaren und sonnigen Tag über Peine. Zeit also zu prüfen wie sich der Wagen auf der Straße benimmt. Endlich. Und es macht Spaß ! Die Variomatic läuft gut und es fällt kaum auf das nur ein Riemen unterm Auto rotiert. Die Bremsen gehen bissig, ebenso wie der Motor. Missmutig stimmt mich lediglich das träge Voltmeter im Cockpit welches sich sträubt in den grünen Bereich zu wandern. Ob die laut jaulende Lima wohl etwas damit zu tun hat ?

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Längere Strecken kann man so jedenfalls nicht fahren, denke ich. Muss man ja aber auch nicht. Zurück auf dem Hof stellt sich schnell herraus das der Keilriemen am Motor viel zu wenig, eigentlich garnicht, gespannt ist. So wie der rumflattert ists schon verwunderlich das er es nicht schon längst seinen beiden großen Brüdern gleich getan hat. Um so besser, dass er noch da ist und sich spannen lässt. Nun wird, wie uns ein uraltes russisches Multimeter aus Matthias´ Fundus exakt anzeigt, die Batterie wieder geladen. Das Kühlwasser behält er auch für sich. So wie er jetzt da steht würde ich ihm sogar eine größere Distanz zutrauen. Matthias hält es auch für möglich das der Wagen, sagen wir beispielsweise bis Sundern durchhalten würde. Interessanter Gedanke. Hab den charmanten 528-5-Lichtblauen Volvo auch schon richtig lieb gewonnen.

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Hannover haben wir inzwischen hinter uns gelassen.. Alles läuft ruhig, geradezu planmäßig, wenn man denn irgendwas geplant hätte. Der Tank gefüllt, frisch komprimierte Atmosphäre in den Reifen tun ihm gut. Ein Radio gibt es nicht. Hat es hier auch nie gegeben. Recht so. Umso intensiver ist das Fahrerlebniss. Inzwischen ist es dunkel, die klare Nacht hereingebrochen. Langsam schieben wir uns auf der Mittelspur an den Lastkraftwagen vorbei. Mehr möchte ich ihm erstmal nicht zutrauen. Von der Variomatic gibts keine ungewöhnlichen Geräusche oder Vibrationen. Geradezu gelassen schnurrt sie vor sich hin. Ebenso läuft die restliche Technik unauffällig. Die Batterie wird brav geladen, das Kühlwasser kühlt brav den Motor und sorgt für wohlig gemütliche Temperaturen im Innenraum. Gut 50 Kilometer haben wir mittlerweile abgespult. 200 liegen vor uns. Ich drehe die Rückenlehne eine Idee weiter nach hinten, flätze mich in den Sitz, und freue mich endlich mal wieder eine längere Tour im Daf zu fahren. Da fallen sie mir wieder auf : Die Scheinwerfer meines Verfolgers. Eigentlich wäre er noch immer mein Mitfahrer und wir wären deutlich schneller unterwegs. Waren ja ursprünglich bloß auf der Durchreise. Ein wenig irritiert schaute er mich vorhin an als ich Matthias nach der Probefahrt Geld in die Hand drückte, nachdem ich zuvor sein Auto repariert hatte. “Dafür darf ich jetzt mit dem Auto nach Hause fahren” sagte ich. Anhand seiner Gesichtszüge konnte ich exakt sehen wann ihm die Konsequenzen dieser Aussage bewusst wurden, und welche Bedeutung sie für den weiteren Verlauf auch seines Abends haben würden. Zwar kann er sich ein “Mit DEM Auto willst Du jetzt bis nach Hause fahren !?” nicht verkneifen, das dies nix ändern würde stand jedoch außer Frage. Er wollte noch zum Sport Heute Abend. Wenn ich ihn jetzt ziehen lassen würde könnte er es noch rechtzeitig schaffen. Ich dachte kurz nach, doch schnell überwog mein Gottvertrauen in van Doornes Technik sowie meine Arbeit sämtliche Zweifel. Zu seinem Erstaunen biege ich ab auf den nächsten Rasthof, räume sämtliches verfügbares Werkzeug in den großzügigen Kofferraum des kleinen Daf, und entbinde meinen Begleiter von seiner Aufsichtspflicht. Fortan bin ich ohne Lumpensammler unterwegs. Allein so fern der Heimat. Der vor ein paar Stunden noch tote Daf und ich. Sicherlich ein Abenteuer. Zweifel jemals zu Haus anzukommen jedoch hab ich nicht. Die verbleibenden Kilometer spulen wir routiniert ab, es verläuft alles unauffällig. Wie nicht anders zu erwarten war. Um so mehr erschrecke ich, als mich eine weiße Wolke überholt während ich vor unserer Haustür stoppe. In der Hoffnung, das es nichts schlimmes ist, öffne ich die Kühlerhaube und finde einen Motorraum in dem wohl gerade jemand einen frischen Aufguss gemacht hat. Es ist spät, finster und der Tag war lang. Gute Nacht.

Zunächst vermute ich einen undichten Kühler. Der Fehler für den Kühlwasserverlust indes liegt woanders : Der anfangs lose Keilriemen hatte so viel Spiel das er in den Kühlwasserschlauch vom Heizugskühler, welcher oben am Thermostat ins Wasserpumpengehäuse führt, ein winziges Löchlein gefräst hatte. Von hier aus spritzte das Kühlmittel unter Druck auf den Kühler. Ein Fehler der durch kürzen des Schlauches um zwei Zentimeter schnell behoben ist. Glück gehabt.

Auch mein Umfeld freut sich mit mir über den Neuankömmling. Nicole´s “Oh, schon wieder ein neuer Gaul auf unserem Gnadenhof ?” ist ebenso positiv zu werten wie Nora´s Freude über die bunten Blumen vorn auf dem Wagen.

Angefixt durch die angenehme Heimreise beginne ich alsbald mich um den Neuzugang zu kümmern.
Dabei fällt auf das die Arbeiten an der Technik, welche der Vor-Vor-Vorbesitzer vor nicht allzu langer Zeit in einer Werkstatt hat durchführen lassen, von minderwertiger Handwerklicher Qualität zeugen. Die Kupplung ist Spielfrei eingebaut - trennt also nicht mehr wirklich. Die Auspuffschellen nicht festgezogen, ebenso wenig wie das klappernde Wärmeschutzblech zwischen Krümmer und Anlasser und der untere Kühlerschlauch. Da passen die A-Body Riemen gut ins Bild. Was hingegen erfreut ist die brauchbare Substanz des Kombis. Der Unterboden ist in erstaunlich ordentlichem Zustand. Und so hat sich der Käse-Elch nach der Technik-Kur auch noch ein paar Lebensverlängernde Maßnahmen in Form vom Blechkonservierungstoffen verdient - um den Status Quo zu erhalten und die mögliche Behandlung der Problemzonen noch ein wenig in die - hoffentlich ferne - Zukunft schieben zu können.

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Ein neues Zündschloss, toppe 13” Puschen, Motor-, Vario- und Technikservice, eine gerade Frontstoßstange montiert. Zum Schluss das obligatorische I-Tüpfelchen : “Variomatic” Kennzeichenleuchten-Abdeckung und Repro “Daf-Variomatic”-Aufkleber anagebracht.

Eigentlich hatte ich mal mit dem Gedanken gespielt den Kombi wieder zu verkaufen. Das ist aber kein Thema mehr. Nora, unsere Tochter, ist ebenso begeistert von dem “Blumenauto” wie Ihr Papa. Sie hilft sogar schon begeistert und tatkräftig mit wenn´s was zu reparieren gibt. Und so ist das Inventar um ein charmantes Exponat bereichert.

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“Wir müssen alle ein wenig durchgeknallt sein in diesem Verein” sagte Matthias zu mir als ich ihm damals mitteilte das ich heil zu Hause angekommen bin. Ich finde : Wir sind die Normalen ;o)

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